Zuerst legt er den Montblanc-Füllfederhalter ab. Es wäre zu schade, wenn er bei einem Sturz auf die Fliesen beschädigt würde. Dann folgt die Senatorenkarte seiner Fluggesellschaft. Heute braucht er sie nicht mehr. Er ist angekommen. Schließlich die Glashütte-Uhr. Ein Geschenk seiner Frau. Manchmal liebäugelt er damit, sie durch ein teureres Modell einer anderen Firma zu ersetzen. Andererseits mag er den regionalen Bezug. Verwurzelung, Bodenständigkeit – genau daran mangelt es doch den meisten seiner Vorstandskollegen. Dann packt er den Autoschlüssel dazu und das Smartphone. Da liegen sie, die Reliquien der Mobilität. Der Prozesse. Der Dynamik. Wobei der Stift eher zu den Strukturen gehört. Er schiebt ihn ein wenig nach links. Legt das Mäppchen mit den Visitenkarten hinzu. Die inzwischen keinen Titel mehr tragen. Nun, da jeder einen „Head“ oder „CEO“ auf seiner Karte zu stehen hat, erweckt Titellosigkeit viel eher Aufmerksamkeit.
Er blickt auf den Schreibtisch. Rechts die Insignien der Mobilität, links die der Struktur. Vielleicht auch der Macht, aber er versucht das Wort zu vermeiden. Sauber ausgerichtet an der Schreibtischkante. Jeweils mit annähernd gleichem Abstand. Auf Ordnung hat er immer viel Wert gelegt. Dann löst er den Knoten der Krawatte, faltet sie einmal und legt sie über die Stuhllehne. Die Manschettenknöpfe – abgelegt auf der linken Seite des Tisches. Jedes Ding hat seinen Platz. Schließlich das Hemd, auf dessen Brusttasche sich seit dem späten Morgen der Umriss eines Kaffeeflecks abzeichnet. Dummerweise hatte seine Assistentin vergessen, ein zweites Hemd mitzunehmen. Ein Lapsus, der ihr nicht noch einmal passieren wird.
Er wirft das Hemd auf den Boden. Später wird er es zum Korb für die Schmutzwäsche bringen. Er zieht die Hosen aus und spannt sie sorgfältig im Bügel. Die Socken, das Unterhemd, ebenso akkurat gefaltet und auf dem Stuhl abgelegt. Schließlich streift er vor dem hohen Spiegel die Boxershorts ab. Nackt spiegelt sich sein Konterfei. Er dreht den Oberkörper ein wenig nach links, ein wenig nach rechts. Hebt die Arme, verschränkt sie hinter dem Kopf und spannt die Bizepse. Wer sagt, man solle sich seinen Chef nur nackt vorstellen? Er kann sich noch gut mit seinen Mitarbeitern messen. Vielleicht zwei oder drei Kilo zu viel. Aber ansonsten durchaus akzeptabel. Ausgeprägte Schultern, eine noch deutlich sichtbare Brustmuskulatur. Straffe Oberschenkel, voluminöse Waden. Er stupst seinen Penis an und entscheidet sich, auch damit zufrieden zu sein. Ja, er ist wer. Auch nackt.
Er blickt zum Schreibtisch, auf dem die Reliquien matt im Schein der Designerlampe glänzen. Morgen wird er sie wieder anlegen. Stück für Stück. Dann hebt er das Hemd auf, löscht das Licht und patscht auf nackten Sohlen ins Schlafzimmer, in dem seine Frau bereits seit einigen Stunden schläft.