Neulich berichtete mein Radio über eine Startuperin. Sie entwickelt eine Software, die mithilfe Künstlicher Intelligenz und Chatbot ein wesentlich effizienteres Wissensmanagement ermöglichen soll. Die KI scannt dafür alle im Unternehmen verfügbaren Dateien, der Chatbot greift auf dieses automatisch archivierte Wissen zu und gibt anschließend auf jegliche Frage zur Unternehmenshistorie eine umfassende Antwort.

Auch wenn der Ansatz im ersten Moment verführerisch klingen mag, ich halte das für keine gute Idee. Zwar mag die Software das lästige Suchen in den Datenablagen vermeiden, doch gleich neben den Schatzkammern des Unternehmens befinden sich dessen Leichenhallen. Und so wird die KI eben nicht nur Zugang zu pfiffigen Konstruktionslösungen des vor fünfzehn Jahren in den Ruhestand gegangenen Walter geben, sondern uns auch an die Flops der Entwicklungsabteilung erinnern. Der Melkschemel mit integrierter Personenwaage beispielsweise oder der Klebebandabroller, der zu einem Bleistiftanspitzer umgesteckt werden konnte. Wollen wir wirklich die Decke des Vergessens von diesen Peinlichkeiten hinwegziehen?

Auch die Genealogie der Unternehmensführung wird unter dieser Software leiden. Unsere Erinnerung trägt vielleicht noch die Namen der vor einigen Jahren geschassten Vorstände, nun werden uns zudem akribisch ihre Fehleinschätzungen, Trugschlüsse und Irrtümer aufgelistet. Denken wir nur an die Entwicklungsprognosen der Vergangenheit, deren damalige Ziele weit über die Linien der heutigen Gegenwart pieken.

Spätestens aber dann, wenn Bilder über Unternehmensfeierlichkeiten auftauchen, die die Personalerin im Gewand einer Squaw, die Hand des Controllers auf dem Oberschenkel der Logistikerin oder den Vertriebsleiter beim Imitieren des sächsischen Dialekts zeigen, wird auch beim letzten Mitarbeiter die Toleranzgrenze erreicht sein. Denn wie sollen wir uns in der Gegenwart bewegen, wenn wir annehmen müssen, dass in der Zukunft all unsere Aktivitäten sicht- und auswertbar sein werden? Wer geht dann noch ins Risiko, wer trägt die Gefahr eines möglichen Fehlers?

Ich denke, jedes Unternehmen hat auch ein Recht auf Vergessen. Das sollten wir akzeptieren, statt einer KI den vollen Zugriff auf unsere Datenbestände zu gewähren.