Nehmen wir mal an, du triffst deinen Chef. Dort, wo er nicht dein Chef ist. Und du nicht sein Mitarbeiter bist. Also außerhalb eures bestehenden Arbeitsverhältnisses. Vielleicht gar an einem Ort, an dem du selber etwas zu sagen hast. Da du bei der freiwilligen Feuerwehr einen Löschtrupp führst, als Leiter des örtlichen Sportvereins Handballturniere organisierst oder im Kunstverein Vernissagen veranstaltest. Halt so, dass sich die Verhältnisse kehren. Und du jetzt deinen Chef führst. Du ihm anzuweisen hast, dass er abgesperrte Bereiche nicht betreten darf, er zu einer bestimmten Zeit das Gebäude zu verlassen hat und der Obolus für den Eintritt an der Kasse entrichtet wird. Wie gehst du also nun mit ihm um, da sich für den Moment die Verhältnisse drehen? Übellaunig, so wie er das an manchem Morgen zu sein pflegt, oder inkonsequent, da du ihm Vergünstigungen einräumst? Aufbrausend, wenn er sich nicht an die für alle geltenden Beschränkungen halten mag, oder stur, weil heute und in dieser Situation nur deine Regeln Gültigkeit besitzen? Natürlich wird es, da wir annehmen, du würdest deinen Chef an einem Ort treffen, wo er nicht dein Chef ist, Stimmen in deinem Kopf geben, die nach Revanche gieren. Revanche dafür, dass er dich vor den Kollegen für den dummen Abrechnungsfehler bloßstellte. Dafür, dass er dir seit Jahren die Leitung größerer Projekte verweigert. Aber es sind nur einige Stimmen in deinem Kopf. Denen andere widersprechen. Und die dich fragen, wie er sich verhalten würde, da du dich verhältst, wie er sich manchmal verhält. Da er dein Chef ist. Nun aber in der Rolle eines Besuchers, Gastes oder Kunden vor dir steht. Würde er dich ignorieren, sich wegducken oder in den Dienst-nach-Vorschrift Modus schalten? Oder würde er dir erwidern, dass er mit deinem Verhalten nicht einverstanden sei? Sich verbeten, dass du mit ihm in dieser Form umgehst? Oder vielleicht gar gänzlich den Raum verlassen? Nein, das würdest du nicht riskieren. Denn einerseits besteht dein Ziel in einer gelungenen Veranstaltung. Andererseits wirst du ihn, der momentan nicht dein Chef ist, schon morgen in der Rolle deines Chefs wiedertreffen. Also bist du freundlich und verhältst dich korrekt zu ihm, mäßigst dich, falls es notwendig sein sollte, und erklärst ihm geduldig zum wiederholten Male, warum deine Hinweise und Regeln so und nicht anders zu beachten sind. So, dass ihr euch morgen, da ihr euch in eurem Arbeitsverhältnis wiedertrefft, noch immer in die Augen sehen könnt.
Zugegeben, es geschieht nicht so häufig, dass wir unseren Chefs in anderen Konstellationen begegnen. Aber gänzlich unwahrscheinlich ist auch nicht. Es macht also Sinn, darüber nachzudenken, wie es wäre, wenn es anders wäre.